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Karma Europe, Evo Lectus

Aufgehende Morgenröte?

 

Vorwort

Evo seite 300x300

Den Evo Lectus sah ich zum ersten Mal auf einer kleinen Messe eines hiesigen Sanitätshauses. Mir fielen sofort die knallroten Federn der vier Stoßdämpfer auf und, da der Sitzlift ausgefahren war, die tolle Säule, auf der der Sitz thront. Nur die Zuordnung zu einem Hersteller gelang mir nicht.

Neugierig geworden, guckte ich mir den Rolli näher an und fand immer weitere überraschend solide gelöste Details, die mein technikaffines Herz höher schlagen ließen. Der freundliche Herr vom Karma-Europe Stand bemerkte meine Neugier und am Ende eines längeren Gesprächs war klar, Rollstuhlcheck würden den neuen Evo Lectus testen dürfen.

Die taiwanesische Firma Karma ist eine der größten Rollstuhl Anbieter Asiens und hat als erste Firma manuelle Rollstühle mit Alu-Rahmen hergestellt.

Nun stehen Rollstühle aus Fernost nicht gerade in dem Ruf qualitative Meisterleistungen zu sein und Verbraucher und Händler betrachten diese Produkte mit einiger Skepsis. Andererseits bestehen unsere Elektrorollstühle, auch wenn Made in Europe (oder gar in Germany), zum Großteil aus Komponenten, die in Fernost produziert werden. Motoren, Steuerelektronik, Polster und vieles mehr werden importiert und in Europa zusammengebaut.

Evo Rueckseite 300x300

Böse Zungen behaupten, dass es ausreichen würde, das Typenschild in Europa an den Rolli zu schrauben, um das Label „Made in Europe“ führen zu dürfen. Aber wer hört schon auf das Gerede „böser Zungen“?

Da also sowieso alle wesentlichen Komponenten eines Elektrorollstuhls aus Fernost kommen, stellt sich die Frage, warum nicht gleich ganze Rollis importieren?

Bisherige Versuche dieser Art waren wegen der schon erwähnten Qualitätsprobleme nicht überzeugend. Aber ähnlich war es auch mit Autos, Motorrädern und Kameras in den 1960er Jahren. Auch sie wurden belächelt und von den vermeintlich fest im Sattel sitzenden traditionellen Herstellern nicht ernst genommen. Heute sind Hersteller aus Fernost in diesen Marktsegmenten Markt- und Technologieführer.

Ob das mit Rollstühlen ähnlich sein wird, bleibt abzuwarten.

Der erste Eindruck

Evo Felge 200

Wie schon angedeutet, fällt der Evo Lectus schon auf den ersten flüchtigen Blick, als "irgendwie" besonders auf. Dazu trägt der fast sportlich wirkende Sitz mit seiner schlanken Rückenlehne und den auffallend gut verarbeiteten Bezügen ebenso bei, wie das Fehlen der üblichen, lieblos zusammengebastelten Halbzeuge (Rohre, Winkeleisen u.ä.), die so manchen Mitbewerber mit ähnlich vielen Verstellmöglichkeiten auszeichnen.

Lediglich die Felgen der Vorderräder wirken etwas vernachlässigt. Die Gussteile für Speichen und Felge wirken etwas grob. Als hätte man vergessen, die Oberflächen zu bearbeiten.

Trotzdem, der erste Eindruck ist vielversprechend.

Die Ausstattung

Bei unserem Testrollstuhl handelt es sich um einen voll ausgestatteten 10km/h Elektrorollstuhl mit Frontantrieb. Zu den besonderen Ausstattungsmerkmalen zählen:

    • Allradfederung
    • Elektrischer Sitzlift
    • Elektrische Kantelung (50°!)
    • Elektrisch verstellbarer Rücken (bis Liegeposition)
    • Elektrisch verstellbare Beinstützen

 Die genauen Ausstattungsmerkmale unseres Testrollis könnt ihr der folgenden Tabelle entnehmen. Die in der Tabelle aufgeführte Vergleichskonfiguration soll einen annähernden Preisvergleich zwischen den von uns getesteten Rollis ermöglichen. Wir versuchen dabei, die Ausstattung der verschiedenen Modelle möglichst gleichartig zu halten. ("ROLLSTUHLCHECK-Konfiguration")
Bitte beachtet das jeweilige Veröffentlichungsdatum der Herstellerpreislisten.

Hersteller Listenpreise gültig bis 31/12/2014
PositionEvo Lectus
TestmodellVergleichskonfiguration
Netto [€]incl.MwSt [€]Netto [€]incl.MwSt [€]
Basismodell 12.899,00 13.801,93 12.899,000 13,801,93
Mehrkosten für 10 km/h Version
StVO Paket , ABE
561,00 600,27 561,0 600,27
180,00 192,60 180,00 192,60
Ergo Sitzkissen (Mesh) 0,00 0,00 0,00 0,00
Rückenkissen (Mesh) 0,00 0,00 0,00 0,00
Kopfstütze 235,00 251,45 --- ---
Armlehne hochklappbar 0,00 0,00 0,00 0,00
Rücken elektrisch verstellbar 2.175,00 2.327,25 --- ---
Rücken biomechanisch 400,00 428,00 --- ---
Sitzkantelung elektrisch (50º) 2.450,00 2.621,50 2.450,00 2.621,50
Sitzlift 0,00 0,00 0,00 0,00
Beinstütze biomech. manuell --- --- 0,00 0,00
Beistütze , biomech. elektrisch 2.110,00 2.257,70 --- ---
Wadenstützen (Mesh) 230,00 246,10 --- ---
Fußplatte winkelverstellbar 0,00 0,00 0,00 0,00
Bedienpult abschwenkbar 220,00 235,40 220,00 235,40
Bedienpult R-Net 120 A (LCD) 0,00 0,00 0,00 0,00
Batterie 70Ah /20h 0,00 0,00 0,00 0,00
Ladegerät 8A 0,00 0,00 0,00 0,00
Beleuchtung (LED) 0,00 0,00 0,00 0,00
Schiebegriffe --- --- 165,00 176,55
graue Reifen --- --- 0,00 0,00
schwarze Lenkreifen 75,00 80,25 --- ---
schwarze Antriebsreifen 75,00 80,25 --- ---
Kotflügel vorne 0,00 0,00 0,00 0,00
Kotflügel hinten 0,00 0,00 0,00 0,00
4 Zurrösen 0,00 0,00 0,00 0,00
Sitzverriegelung 245,00 262,15 --- ---
Lenkrollen hinten 130,00 139,10 --- ---
Haltegurt --- --- 43,00 46,01
Summe 21.805,00 23,331,35 16.338,00 17.481,66

 

Evo Sitz

Anders, als fernöstliche Produkte der 1960er Jahre, glänzt unser Evo Lectus nicht gerade mit besonders günstigen Preisen. Unser zugegebenermaßen voll ausgestatteter Rollstuhl kostet satte 23.000,00€! Ein wirklich stolzer Preis.

Mal sehen, was man dafür bekommt.

Der Sitz

Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass der Sitz recht aufgeräumt wirkt. Grobe Gestänge für die diversen Verstellmöglichkeiten fehlen und die Antriebsmotoren sind dezent unter dem Sitz versteckt. Das Ganze wirkt durchdacht und mit Sorgfalt gemacht.

Die Sitz- und Rückenpolster sind ordentlich verarbeitet und werfen keine Falten. Die schlanke Form der Rückenlehne nimmt dem doch großen Rollstuhl etwas von seiner Wucht und lässt ihn „schnittiger“ erscheinen.
Die Konstruktion entspricht der üblichen Kombination von Trägerplatten für Rücken und Sitz mit angekletteten Polstern.

Die gut passenden Bezüge aus einem Mesch-Gewebe fühlen sich angenehm an, sind atmungsaktiv und umspannen die Schaumkerne der Polsterung straff. Sowohl Sitz- als auch Rückenpolster sind leicht konturiert.

Armstützen

Evo Arm runter

Meist werden an Rollstühlen steckbare Armlehnen verbaut, die man zum Umsetzen einfach nach oben aus der Halterung herauszieht und dann nie so recht weiß, wohin damit.

Bei unserem Rolli hat man dieses Problem nicht. Die Armstützen sind hochklappbar. Hat man sie weit genug hochgeklappt, bleiben sie sicher in dieser Lage. Leider ist doch etwas Kraft und Beweglichkeit erforderlich, um die Armlehnen auch tatsächlich wegklappen zu können. An der Amstütze mit Steuerteil muss man immerhin eine Kraft von 3kg aufwenden, um sie nach oben bewegen zu können.

Es sind allerdings auch kürzere Armlehnen (30cm, statt 40 cm, wie bei unserem Testrolli) erhältlich, die sich vermutlich leichter hochklappen lassen. Außerdem wirken kürzere Armstützen möglicherweise etwas weniger klobig.

Eine weitere Besonderheit der Armstützenbefestigung ist, dass sie ihre horizontale Lage beim Verstellen des Rückenwinkels weitgehend beibehalten. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Bei vielen Rollis bleibt die Lage der Armstützen in Bezug zur Rückenlehne gleich, sodass bei gekippter Rückenlehne die Armlehnen nach oben zeigen.

Rücken

Evo Ruecken flach

Bei unserem Testrollstuhl ist ein „biomechanischer“ Rücken mit elektrischem Antrieb verbaut. Der Rücken lässt sich elektrisch von einer sehr steilen, nach vorne geneigten Position, bis in eine horizontale Liege-Position bewegen.

„Biomechanisch“ heißt in diesem Fall, dass die Rückenlehne sich bei beim Neigen entlang ihrer Längsachse verschiebt. Dadurch werden die, durch die unterschiedlichen Drehpunkte von Hüfte und Rückenlehne hervorgerufenen, Scherbewegungen vermieden. Dies ist insbesondere für Nutzer, die ihren Oberkörper nicht frei halten können von Bedeutung. Ohne den „mitlaufenden“ Rücken würde es einem das Hemd aus der Hose ziehen.

Serienmäßig verfügt der Evo über einen manuell verstellbaren Rücken. Die Verstellung funktioniert zwar werkzeugfrei, aber nicht, wie bei jedem Autositz, aus dem Sitz heraus. Das ist leider kein Alleinstellungsmerkmal des Evo Lectus. An einer einfachen Rückenverstellung, wie wir sie seit Jahrzehnten selbst in einfachsten PKWs finden, scheitern so gut wie alle Anbieter von Rollstühlen.

Fußstützen

Evo Beinstuetzen hoch

Evo man Beinstuetze

Auch die zentrale Beinstütze lässt sich bei unserem Testrollstuhl elektrisch verstellen. Dabei ändert sich nicht nur der Kniewinkel, sondern auch die Länge der Beinstützen.

Das Prinzip ist das gleiche, wie beim Rücken: Durch die unterschiedlichen Drehpunkte (hier Kniegelenk und Gelenk Beinstütze) ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Länge der Beinstützen.

Die geteilten Trittbretter sind winkelverstellbar (Werkzeug).

In der Standardausstattung ist die zentrale Beinstütze mit einer Gasdruckfeder versehen, die beim manuellen Ändern des Kniewinkels eine Anpassung der Beinstützenlänge ermöglicht.

Kantelung

Evo Kantel hoch

Die elektrische Kantelung verfügt mit 50° über einen extrem großen Verstellwinkel.

Kantelungen ermöglichen das Kippen des Sitzes nach hinten. Dabei bleibt der Winkel zwischen Sitzfläche und Rückenlehne unverändert. In „gekantelter“ Position wird das Sitzfleisch entlastet, da ein Teil des Körpergewichts über den Rücken auf die Rückenlehne abgetragen wird.

 

Sitzlift

Evo Lift hoch

Besonders gut gefällt mir der Sitzlift. Im Gegensatz zu den weitverbreiteten Scherenmechanismen, die den Sitz nach oben stemmen, ist bei einer Teleskopsäule die Verletzungsgefahr durch Hineingreifen in den Mechanismus (Kleinkinder, Haustiere) weitgehend ausgeschlossen.

Unser Lift hebt den Sitz um 40cm an. Das hört sich nicht nach „viel“ an, ist aber eine Menge. Die Oberkante der Sitzplatte beträgt im eingefahrenen Zustand ca. 46cm, im ausgefahrenen Zustand stolze 86cm. (+ Dicke des Sitzkissens von ca. 10cm im unbelasteten Zustand)

Ein Sitzlift erhöht nicht nur den Aktionsbereich (hoch liegende Regale) sondern kann auch sehr gut als Aufstehhilfe verwendet werden.

Abschwenkbares Bedienteil

Evo Steuerpult hinten

Unser Rolli verfügt über einen vorbildlich gekapselten Abschwenkmechanismus, der die mit den üblichen Scherenkonstruktionen verbundene Verletzungsgefahr ausschließt.

Wer einmal mit den Fingern in einen offenen Abschwenkmechanismus geraten ist, wird einen gekapselten Mechanismus besonders zu schätzen wissen.

Derartige Abschwenkmechanismen sind unerlässlich, um mit dem Rollstuhl an Tische heranfahren zu können.
Leider lässt sich das Steuerpult nur nach außen abschwenken und nicht nach innen über den Sitz, wo es, wenn der Rolli geparkt herumsteht, besser gegen Rempeleien geschützt wäre.


Das Fahrwerk

Konstruktion ...

Evo Fahrwerk 2

Der Evo Lectus verfügt über Einzelradfederung. Bei den Feder-Dämpfer-Elementen können die Federvorspannung und die Stärke der Dämpfung eingestellt werden.

In einem bestimmten Rahmen lassen sich auf diese Weise Fahrwerks-Abstimmungen auf das Nutzergewicht vornehmen.

Allerdings verändert man durch das Verstellen der Federvorspannung nur die „Auslösekraft“, die notwendig ist, um die Feder zusammenzudrücken. Wird die Federvorspannung erhöht, steigt diese Auslösekraft, die Federung wird scheinbar härter. Gleichzeitig wird der ohnehin kurze Federweg kürzer. Die eigentliche „Härte“ der Feder wird dadurch nicht verändert.

Eine tatsächliche Änderung der Federungshärte ist nur durch Auswechseln der Federn möglich. Manche Hersteller bieten  verschieden harte Federn für verschiedene Nutzergewichtsklassen an. Leider gibt es dieses Angebot für den Evo Lectus bisher nicht.

Ich habe diese Problematik gegenüber Karma Europe angesprochen und erfreulicherweise will Karma Europe den Evo Lectus ab 2015 mit Federn für 3 verschiedene Gewichtsklassen anbieten. Super!

 … und Praxis

Evo Birkenwaeldchen 2

Wir hatten gleich zu Beginn unserer Ausfahrten Pech und haben uns einen Plattfuß an einem der Lenkräder eingefangen. Beim Versuch das Rad auszubauen, um den Schlauch zu flicken, war zum Lösen einer Innensechskantschraube ein so hohes Drehmoment erforderlich, dass die Schraube nachgab und das Werkzeug den Innensechskant rund drehte. Dumm gelaufen!

Es stellte sich heraus, dass eine falsche Schraubensicherung verwendet wurde, die die Schraube in ihrem Sitz fest verklebte. Wie uns Karma-Europe mitteilte ist das auf einen Fehler in der Produktion zurückzuführen, der aber inzwischen behoben sei.

Nach diesen ersten Hindernissen lief dann aber alles glatt und wir konnten unsere Erprobungsfahrten wieder aufnehmen.

Evo Rammschutz

Ist man das Fahren mit einem heckgetriebenen Rollstuhl gewöhnt, stellt sich das Fahren mit einem Fronttriebler erwartungsgemäß als gewöhnungsbedürftig heraus.

Deshalb war ich besonders über die beiden „Rammschutzrollen“ froh, die die Schäden durch das beim Lenken ausschwenkende Hinterteil deutlich minimierten. Nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung lief dann aber alles glatt.

Dabei zeigten sich auch Vorteile des Frontantriebs: So muss man, um den Rollstuhl gerade vor eine Tür oder ein Hindernis zu stellen, nicht vorher einen Bogen fahren, sondern kann das Hinterteil praktisch um die Vorderräder drehen.

Front-Heckantrieb2


Vorsicht ist jedoch geboten: Da man die Lenkräder nicht im Blickfeld hat, sollte man beim Rangieren aufpassen, nicht mit dem Hinterteil über die Bordsteinkante oder einen Treppenabsatz zu fahren.

Evo Zirwaldchen

Obwohl der Evo Lectus auf den ersten Blick ein ziemlicher Brocken ist (Gesamtlänge ca. 130 cm), ist er tatsächlich mit einer Breite von nur 61cm ungewöhnlich schmal. Das wirkt sich vor allem im Innenbereich positiv aus. Schmale Durchfahrten an Supermarktkassen sind kein Problem mehr und selbst die legendären C&A Hindernisparcours sind mit den Evo zu bewältigen.

Weiters fiel mir beim Fahren auf, dass die seitlichen Beschleunigungskräfte, die beim Lenken auf den Körper einwirken, höher sind als bei Heck- und sowieso, bei Mittelrad-Antrieben. Das kann u.U. für Nutzer mit instabilem Oberkörper Schwierigkeiten mit sich bringen. Abhilfe kann hier aber eine stärker konturierte Rückenlehne schaffen, die mehr Seitenhalt bietet.

Mit dem Rolli geht es flott voran. Die Federung war erwartungsgemäß von durchschnittlicher Qualität, bügelte Pflasterfugen gut weg, hatte aber gröberem Kopfsteinpflaster wenig entgegenzusetzen. Hier ist aber 2015, mit den besser an das Nutzergewicht anpassbaren Federbeinchen, Besserung in Sicht.

Wie schon so oft beschrieben, hängt die nicht zufriedenstellende Federungsqualität mit dem Konstruktionsprinzip der Rollstühle zusammen.

Evo Kopfsteinpflaster

Grundsätzliches zu Fahrwerken bei Elektrorollstühen

Klassische Elektrorollstühle haben einen sehr hohen Schwerpunkt. Um zu verhindern, dass der Rollstuhl beim Kurvenfahren umkippt, darf er auf der kurvenäußeren Seite nicht zu weit „in die Federn“ gehen. (sich nach außen neigen.)

Andererseits möchte man aber, um den Fahrkomfort zu erhöhen, eine gut ansprechende Federung. Bei diesem Spagat hat die Fahrsicherheit eindeutig Vorrang. Deshalb verbaut man relativ harte Federn, um die Kippgefahr zu minimieren.

Ähnliche Probleme gibt es auch bei Autos. Deshalb werden dort Stabilisatoren eingebaut, die der Nickneigung beim Kurvenfahren entgegenwirken.

Leider gibt es nur ganz wenige Rollstuhlhersteller, die solche Stabilisatoren auch in ihre E-Rollis bauen. Mir ist derzeit nur die Firma Reha-Richter und Alber bekannt, die das machen. (bzw. machten.) Bei Verwendung von Stabilisatoren können deutlich weichere Federn verbaut werden.

Sehr viel beeindruckender zeigt sich der Evo Lectus beim Überwinden von Hindernissen. Wie sind damit aus dem Stand 8cm hohe Kanten hochgefahren und hatten das Gefühl, dass bei etwas Anlauf durchaus mehr möglich sein könnte. Hier spielt der Rolli die Vorteile der großen Vorderräder und der leistungsstarken Steuerelektronik (120A) aus.

Bei vielen frontgetriebenen E-Rollis liegt der Schwerpunkt so weit vorne, dass, insbesondere bei Bergabfahrten, beim Bremsen die Gefahr eines nach vorne Umkippens besteht. Deshalb brauchen solche Rollis in den schnelleren Versionen vorne Stützräder, die aber leider den Vorteil, den die großen Vorderräder bei der Hindernisüberwindung mit sich bringen, wieder zunichtemachen..

Nicht so unser Evo Lectus. Der kippt nicht nach vorne und klettert super die Kanten hoch.
Eine wirklich tolle Besonderheit bringt der Sitzlift mit sich: Man fährt sich hoch und kann dann auch über hohe Brückenbrüstungen schauen. Eine ganz neue Erfahrung!

 

Evo S-Bahnbruecke

 

Elektrik

Steuerelektronik

Serienmäßig wird unser Evo mit der R-Net Steuerung des britischen Herstellers PG Drives ausgeliefert.

Das Steuerpult verfügt über ein Farbdisplay, auf dem neben Fahrgeschwindigkeit und Ladezustand der Batterien, auch ein Tageskilometerzähler und die Uhrzeit angezeigt wird. Erfahrungsgemäß sind die Ladezustandsanzeigen für die Batterien nicht sehr genau. Deshalb ist ein Tageskilometerzähler sehr hilfreich, um besser abschätzen zu können, wann man mit leeren Batterien liegen bleibt.

Es lassen sich 5 Fahrprofile (z.B. für extreme Engstellen, Innenraum , Außenbereich,usw..) aufrufen, die vom Fachmann (so man einen findet) entsprechend der Bedürfnisse des Nutzers, programmieren lassen. (z. B. Geschwindigkeit, Empfindlichkeit des Joysticks, Bremswirkung, u.a.)

Die Verstellmotoren werden ebenfalls über das Steuerpult angesteuert.
Laut Karma Europe wird der Rollstuhl serienmäßig mit einer 120A Steuerungselektronik ausgeliefert. Das ist die leistungsstärkste von PG Drives für Rollstühle erhältliche Steuerung. Ein Grund für die gute Kantensteigfähigkeit des Rollstuhls.

 

Beleuchtung

Evo LED

Bis vor Kurzem waren LED Leuchten nur an Rollis bis 6km/h zulässig, da für diese Fahrzeugklassen keine Anforderungen nach StVO vorgegeben waren. Bei Rollstühlen, die schneller als 6km/h sind, ist eine Beleuchtungsanlage entsprechend der StVO vorgeschrieben. Da es keine StVO konformen LED Leuchten für Rollis gab, wurden weiterhin die anfälligen und leuchtschwachen Glühbirnchen Funzeln verbaut.

Inzwischen stehen aber geeignete LED Beleuchtungsanlagen zur Verfügung, sodass endlich auch an schnelleren Rollis leuchtstarke und langlebige LEDs verbaut werden können.

Wie bei unserem Evo, der serienmäßig über eine LED Beleuchtungsanlage verfügt.

Trotz der exponierten Position der vorderen Scheinwerfer auf den Kotflügeln,befinden sie sich dort an einem ziemlich sicheren Ort. Die Vorderreifen markieren die breiteste Stelle am Rolli und fangen unsanfte Berührungen ab, bevor es zu einem Kontakt mit den Scheinwerfern kommt.

Batterien

Standardmäßig sind 2 12V/ 68Ah  AGM-Batterien verbaut. (MOVE MPA 70-12).In AGM-Batterien (=Absorbed Glass Material-Batterien) bindet ein Vließ das Elektrolyt (Säure). Sie können lageunabhängig betrieben werden, laufen bei Gehäusebruch nicht aus und können im Innenraum geladen werden, da sie bei (vorschriftsmäßiger) Ladung nicht ausgasen.

Ladegerät

Das mitgelieferte 8A-Lagegerät ist schön kompakt, hat aber einen deutlich vernehmbaren Billiglüfter eingebaut. Wegen des unangenehmen Lüftergeräuschs ist das Ladegerät für den Einsatz im Schlafzimmer nicht geeignet. Schade, leise laufende Lüfter sind Pfennigartikel und erleichtern ihren Nutzern das Leben erheblich.

Servicefreundlichkeit

Fährt man den Sitzlift hoch, sind alle für die Wartung wichtigen Bereiche sehr gut zugänglich. Dazu nimmt man zuerst die seitlichen Abdeckungen ab und kann dann die Abdeckung über den Batterieboxen abnehmen. Das alles geht werkzeugfrei (Rändelschrauben).

Im Heck des Rollis befindet sich in dem bürzelförmigen Kasten die Steuerelektronik. (von oben, oder von hinten zugänglich) Sie ist mit einem einzigen Spiralkabel mit einem Verteilerelement in einer an der Rückseite des Sitzes befestigten Box verbunden. Hier laufen alle Kabel von den Verstellmotoren und dem Steuerpult zusammen.

Laut Karma Europe ermöglicht dieses Konzept eine weitgehende Wartung/ Reparatur des Rollstuhls, ohne dass der Insasse den Rolli verlassen müsste. Lästiges Umsetzen soll so weitgehend vermieden werden können.

Batteriezugänglichkeit

Um an die Batterien heranzukommen, müssen die seitlichen Abdeckungen entfernt werden. Das ist ohne Werkzeug und recht einfach möglich. Lediglich die Rändelschrauben, die die Abdeckungen halten, sind etwas zu klein geraten, so dass das Lösen der Schrauben etwas fummelig wird.

Sind die seitlichen Abdeckungen entfernt, sind die Batterien von beiden Seiten sehr gut zugänglich und lassen sich einfach seitlich herausziehen. Die Anschlusskabel sind lang genug, um sie bequem, erst nach dem Absetzen der Batterien auf dem Boden, von den Polen lösen zu können. Sehr gut.

Evo Batterie 1

Evo Batterie 2

Besonders hilfreich beim Batterie-Ein- und Ausbau sind die fest mit der Batterie verbundenen Tragegurte, an denen sich die Batterie sicher anheben lässt.

Transport und Schiebebetrieb

Um den Rolli schieben zu können, müssen die Motoren ausgekuppelt werden. Das geschieht direkt an den Motoren. Leider sind die dazu notwendigen Drehgriffe so von der zentralen Fußstütze verdeckt, dass sie nur sehr schlecht zugänglich sind.

Hat man die Motoren dann nach etlichen Verrenkungen entkuppelt, lässt sich der Rolli recht widerwillig in die gewünschte Position bugsieren. Hier macht sich das erhebliche Zusatzgewicht durch die vielen Verstellmechanismen natürlich bemerkbar. Wiegt der Evo Lectus in der Standardausführung (incl. Sitzlift!) gut 140kg, so kommen für Kantelung, Rücken und Fußverstellung geschätzte weitere 25 kg hinzu.

Zum Transport in einem PKW benötigt man Auffahrrampen.
Mit hochgeklappten Fußbrettern, ganz zurückgefahrener Beinstütze und nach vorne gedrehten Lenkrädern misst der Rolli nur noch 92 cm. Ohne diese Länge zu überschreiten kann man die Rückenlehne soweit neigen, dass die Gesamthöhe des Rollstuhls ca. 105 cm beträgt (bei abgenommener Kopfstütze).
Fährt man die Rückenlehne ganz nach unten (180°), reduziert sich die Gesamthöhe auf 81 cm. Die Gesamtlänge beträgt dann ca. 108 cm (bei abgenommener Kopfstütze).

Ein einfaches Umklappen der Rückenlehne nach vorne auf den Sitz, um die Transporthöhe zu minimieren, geht leider nicht.

Der Rolli verfügt serienmäßig über 4 Zurrösen und ist zum Transport  im KFZ zugelassen. Die Zulasung für den Transport im KFZ mit Passagier ist derzeit in Arbeit.

EVO Zurroesen h200

Bei abgenommener Verkleidung sieht man die Konstruktion der Befestigungspunkte. (Zum besseren Erkennen grün eingefärbt), Bei angebauter Verkleidung ragen nur die Enden mit den Zurrösen aus der Verkleidung hervor.

 

 

 

 

Fazit

Der Evo Lectus ist eine konsequente Weiterentwicklung bestehender Rollstuhl-Konzepte. Zwar gibt es nicht wirklich sensationelles an ihm, jedoch beeindrucken die gut durchdachten Detaillösungen. Sie verleihen dem Rolli, trotz der vielen Verstellmechanismen, ein aufgeräumt wirkendes Äußeres und lassen ihn, auch Dank der schmalen Silhouette der Rückenlehne, fast sportlich erscheinen.

Bauartbedingt, konnte mich die Federung auch bei diesem Rollstuhl nicht überzeugen. Sehr gut hingegen empfand ich das Verhalten bei der Hindernisüberwindung (Bordsteinkante) und auch über den ordentlich gearbeiteten Sitz (ohne Falten!) habe ich mich gefreut.
All jene, die an Rollis herumbasteln oder sie warten müssen, werden sich über die gute Zugänglichkeit der wartungsrelevanten Bauteile freuen.

Die Frage, ob Elektrorollstühle aus Fernost, ähnlich wie Autos und Elektronikprodukte den europäischen Markt bald aufmischen werden, kann ich natürlich nicht beantworten. Von den technischen Standards, Materialanmutung und Verarbeitung her gesehen, scheinen die Türen offen zu stehen.

  • gute Hindernisüberwindung
  • schöner Sitz (faltenfrei!)
  • sorgfältige Detaillösungen
  • servicefreundlich
  • Armlehnen etwas schwer