COASTER

Bei meinen Recherchen zum Thema Rollstuhldesign begegnete mir der Entwurf Coaster von Peer Stock. Es handelt sich dabei um ein Fahrzeug, das ein Äquivalent zum Mountainbike darstellen soll. Mir gefiel besonders das Potenzial zum Fun-Fahrzeug, das in diesem Entwurf steckt. Der Coaster ist zwar für Menschen mit Behinderung entworfen, bietet sich aber auch nicht behinderten Menschen als Freizeit- und Sportgerät an.

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Der Entwurf entstand 2005 als Diplomarbeit an der Kunsthochschule Weissensee in Berlin und wurde 2006 mit einer Anerkennung des Mia-Seeger Preises ausgezeichnet.
Inzwischen ist der Entwurf etwas in die Jahre gekommen und Peer Stock würde nach eigenem Bekunden heute, als erfahrenerer Produktdesigner, manches anders machen. Unglücklicherweise sind viele wichtige Unterlagen einem Festplatten-Crash zum Opfer gefallen (lang leben die guten alten Analog-Zeichnungen!), so dass wir die eine oder andere fehlende Information im Interview nachzureichen versuchen.
In den Vorbereitungsgesprächen zu diesem Beitrag wies Peer Stock ausdrücklich darauf hin, dass der Entwurf als Ideenskizze zu verstehen sei.
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Entwurfsbeschreibung

Autor: Peer Stock

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Die Tatsache, dass man als Gehgeschädigter körperliche Belastung verstärkt auf die Arme verlagern muss erschwert generell die Handhabung von technischen Geräten die der Fortbewegung dienen. Beispiele hierzu sind z. B. die Montage von Anbauteilen bei Rollstühlen oder das Ein- und Aussteigen in den Rollstuhl.

COASTER ist ein Fahrzeug für Menschen mit Einschränkung der Gehfähigkeit. Es stellt eine Erweiterung der Funktionen herkömmlicher Rollstühle dar, die bis heute meist nur für den Gebrauch auf ebenen Untergründen konzipiert sind.
Mit COASTER ist es möglich auch unwegsames Gelände zu befahren. Als Sportgerät ausgelegt, werden leichteste Materialien wie Karbonfaserverbundwerkstoffe und Leichtmetalle verwendet.

Die Einzelradfederung vorne und hinten, große Räder und eine Nabenschaltung unterstützen die Geländefähigkeit des Fahrzeugs.

Der Antrieb erfolgt durch Handhebel, die durch Hin- und Herbewegung die Kraft auf die Schwungräder und weiter auf das Nabengetriebe übertragen. Eine Kardanwelle vermittelt den Antrieb auf die Hinterachse.

Die Bremse wird durch drehen des linken Hebelgriffs betätigt. Eine Scheibenbremse  an der Hinterachse bringt das Fahrzeug zum schnellen Stillstand. Die Grifffunktionen können bei Linkshändern ausgetauscht werden.

Komponenten, wie Bremse, Schaltung und Räder stammen aus dem Fahrradzubehör.

Die Lenkung erfolgt mittels drehen des rechten Hebelgriffes und einer Hydraulik , die die Lenkbewegung an die Vorderräder überträgt.

Ein Herausfallen des Fahrers wird durch einen Schalensitz und Fußgurte verhindert. Der Einstieg in das Fahrzeug wird durch den drehbaren und nach vorne verschiebbaren Schalensitz erleichtert. Durch die zusätzlich verschiebbare Fußschale kann das Fahrzeug verschiedenen Fahrergrößen problemlos angepasst werden.

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Interview mit Peer Stock

1.) zum Entwurf

 

RC: Welche Grundidee steckt hinter dem Konzept Coaster?
P.S.: Die Idee war, das Konzept zu einem Fahrzeug zu entwerfen, das sich in den Grundfunktionen, denen eines Mountainbikes annähern soll. So wäre es für Menschen mit Gehbehinderung möglich, Touren zu fahren, die nicht nur auf ebenen Strecken stattfinden, sondern auch über Feld- oder Waldwege mit Unebenheiten führen, oder gar Downhillfahrten beinhalten.
Zudem sollte das Fahrzeug auch für Personen ohne Behinderung als Freizeitfahrzeug interessant sein.
RC: In den Vorgesprächen wiesen Sie darauf hin, dass Ihr Entwurf als Ideenskizze zu lesen sei. Was heißt das?
P.S.: Der Entwurf war eine Teilaufgabe meiner Diplomarbeit. Wegen der zu lösenden anderen Diplom-Aufgaben, stand für den Entwurf nur ein relativ kleines Zeitfenster zur Verfügung. Deshalb konnten einige Fragen nur unzureichend thematisiert werden. Es soll hier also nicht der Anspruch erhoben werden, dass das Projekt fertigungsreif sei. Einige wichtige Punkte hätte man nur an einem Funktionsmodell herausfinden können. Dafür hatte damals die Zeit und auch das Geld gefehlt. So bleiben dann natürlich einige Punkte offen die man nur in weiterer Forschungsarbeit hätte lösen können.
RC: Auf den Modellfotos sieht es so aus, als seien die Hinterräder starr, also ungefedert angebracht.
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P.S.: Ja, das ist leider kaum zu erkennen: Die Achsen bewegen sich in einem Langloch in dem Rahmenrohr. Die Achsführung und die Federung sitzt innen im Rahmenrohr.
RC: Warum kein Riemen- oder Kettenantrieb? Beim Kardan muss die Kraft 2x um 90° umgelenkt werden. Das kostet Energie und bringt zusätzliches Gewicht.
P.S.: Im Gelände ist Kette oder Riemen problematisch. Springt sie/er raus wird es für den Rollstuhlfahrer recht schwierig das in Ordnung zu bringen. Außerdem ist ein Kardanantrieb nahezu wartungsfrei.
RC: Wo ist das Nabengetriebe?
P.S.: An der Kardanwelle angeschlossen. Vorzugsweise vorne im Rahmen.
RC: Wie werden unterschiedliche Drehgeschwindigkeiten der Hinterräder beim Kurvenfahren ausgeglichen?
P.S.: Mit einem Differenzialgetriebe an der Hinterachse + ggf. Differenzialsperre. Im Modell ist dies leider nicht dargestellt. Hier wären Tests mit einem Prototypen schön gewesen. Leider ließ sich das aus finanziellen Gründen nicht realisieren.
RC:Im Modell sieht man eine Scheibenbremse an der Hinterachse. Wo sitzt die Scheibenbremse bei der Verwendung eines Differenzials?
P.S.: Die Scheibenbremse wäre dann an der Kardanwelle angebracht.
RC: Die Lenkung soll hydraulisch funktionieren. Wie?
P.S.: Der notwendige Druck für den Hydraulikkolben am Lenkgestänge soll ähnlich wie bei Fahrradscheibenbremsen aufgebaut werden. Für die detaillierte Entwicklung wäre ebenfalls ein Prototyp oder Funktionsmodell notwendig gewesen, das mir leider aus besagten Gründen nicht zur Verfügung stand.
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